Smiling Depression

Alles nur Maske & Fassade

„Gut?“ getarnt

Der Begriff „Lächelnde Depression“ (Smiling Depression) hat mich in den letzten Tagen massiv beschäftigt. Schon lange bevor ich mir mutmaßlich frühzeitig professionelle Hilfe suchte bemerkte ich, dass ich mich in die Riege der Weltmeister*innen unter den Maskenträger*innen und Fassadenaufrechterhalter*innen einreihen konnte.

Dabei ist mir und vielen, vielen anderen Betroffenen auf keinen Fall zum Lachen zumute. Das Leben wird bestimmt von chronischer Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit oder Trauer, massiven Ängsten und Suizidgedanken und -überlegungen. Ich selbst erweckte und erwecke nachwievor reflexartig bis gerne den Eindruck, als gäbe es kaum Gründe, traurig oder gar verzweifelt zu sein. Im Prinzip konnte passieren was wollte, ich habe aus Sicht meiner Umwelt „funktioniert“.

Eigentlich…

… hatte ich (bis zu dem Augenblick, in dem ich mich entschied mir, außerhalb meines eigentlich auch im psychosozialen Bereich arbeitenden Arbeitgebers, professionelle Hilfe zu suchen und anzunehmen) einen tollen, mich sehr ausfüllenden Job, eine kleine aber feine Wohnung, den HerzMenschen schlechthin als Lebenspartner an meiner Seite und ein zwar noch pubertierendes aber fabelhaftes KInd. Ich bin sehr gut sozialisiert, habe wenige sehr gute Freunde, Freunde und viele, viele tolle liebenswerte Menschen in meinem Umfeld. In meinem Portemonnaie , bis zu meinem Rauswurf, der Cent mehr, als ich zum Leben brauche. Mein Leben dort, wo Hunderttausende jährlich Urlaub machen. Ich lächele, wenn du mir begegnest, mich begrüßt oder das Gespräch mit mir suchst. Meine Fähigkeit zur Empathie und mein fröhliches offenes Wesen zeichnen mich bei vielen Menschen aus. Kurz um, ich setze mir, sobald ich meine kleine sichere Höhle verlassen muss, für die Außenwelt eine Maske auf und führte lange Zeit ein scheinbar normales, glückliches und aktives Leben. Beneidenswert, perfekt nahezu.

Smiling Depression – Lächelnde Depression

Definition & Fragen

In der Literatur zur „Lächelnden Depression“ findet sich, dass die „Smiling Depression“ ein Bestandteil der klassischen schweren Depression ist, was in mir eine Menge Fragen aufwirft.

Menschen, die an einer solchen klassischen schweren Depression leiden, hegen demnach selbstmörderische Gedanken, sind aber in der Regel kaum in der Lage auf diese Gedanken und Gefühle zu reagieren. „Smiling Depression“-Betroffene verwenden ihre letzten Energien darauf, ihre Selbstmordabsichten nicht nur zu planen, sondern auch durchzusetzen. Somit kann eine „Lächelnde Depression“ gefährlicher sein als eine klassische Form der schweren Depression.

Quelle: The Secret Pain of „Smiling Depression“, ein Interview mit der Psychologin Rita Labeaune

Ich persönlich finde es fatal, dass diese Fassade den Schwerstdepressiven zugeschrieben wird, gerade weil sich viele Psycholog*innen und Psychiater*innen schwer mit den Grenzen der einzelnen Stadien tun. Auch findet meist kein interdisziplinärer Austausch statt, so dass vielleicht die Psycholog*in sieht, was Psychiater*innen entgeht und Hausärzt*innen schon mal gar nicht mitbekommen und erfahren.

Mir wurde eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode (F33.1) diagnostiziert. Also alles schick?

Hmmm… wie erklären sich demnach die vielen Fragen aus der Außenwelt und selbst dem engsten Umfeld, wie zum Beispiel:

  • „Quatsch, du veralberst mich doch?“
  • „Wieso hast du Depressionen? Wir sind doch alle für dich da!“
  • „Du hast immer ein offenes Ohr, eine Umarmung und ein Lächeln für mich/uns, so ein großes Herz und hilfst, wo du kannst. Und du willst depressiv sein?“
  • „Stell dich nicht so an. Du hast doch alles, was du brauchst. Nimm dir ein paar Tage frei und dann wird das schon wieder, oder?
  • „Echt? Du siehst gar nicht depressiv aus?!“


Alles ein riesiges großes Mistverständnis? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder sitzt die Maske so perfekt, steht die Fassade so uneinstürzbar?

Noch viel, viel schlimmer, ich bin fast geneigt „fahrlässig“ zu sagen, sind Aussagen aus dem professionellen Umfeld. Natürlich kann man darüber streiten, ob Patient*innen mit Depressionen in einer „psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme (REHA)“ richtig untergebracht sind. Klar, qua Definition mag das alles so richtig sein:

Psychosomatik

Psychosomatik bezeichnet in der Medizin eine ganzheitliche Betrachtungsweise und Krankheitslehre. Darin werden die psychischen Fähigkeiten und Reaktionsweisen von Menschen in Gesundheit und Krankheit in ihrer Eigenart und Verflechtung mit körperlichen Vorgängen und sozialen Lebensbedingungen betrachtet.

Quelle Dr. Wikipedia

Allerdings setzt das voraus, dass die ganzheitliche Betrachtungsweise auch von allen Beteiligten erfolgt und eben nicht nur von den engagierten Psycholog*innen, Ergo-, Körper- und Gestaltungstherapeut*innen. Wenn ein*e Allgemeinmediziner*in während einer sechswöchigen REHA wunder- und spontanheilend von sich gibt: „Sie machen gar keinen depressiven Eindruck! Und ich habe Sie in den letzten Tagen auch fröhlich lachend wahrgenommen!“, dann habe nicht nur ich mit meiner mangelnden Impulskontrolle zu kämpfen oder schlimmer noch, suizidgefährdete Patient*innen erhalten die Initialzündung schlechthin.

Die dunkele Seite der „Lächelnden Depression“

So begab es sich kürzlich freitags in einer solchen Einrichtung, dass ein*e Patient*in, Einzelgänger*in, aber stets freundlich, hilfsbereit, meist lächelnd und niemals einem Gespräch oder einem SmallTalk aus dem Weg gehend, ihre/seine Bezugsärzt*innen und Bezugstherapeut*innen konsultierte, um sich freiwillig einweisen zu gehen. Sie/Er bemerkte an sich eine dramatische Häufung von Suizidgedanken, bis hin zur Planung und Auswahl des perfekten Hilferufs und des wohl sichersten letzten AusWeges. Das machte Angst, eine Angst die dem medizinischen und psychologischen Betreuungspersonal mitgeteilt wurde. Mit einem Lächeln erschien sie/er zum verabredeten Kaffee und berichtete aufgeregt, dass dem Wunsch nach Einweisung nun endlich auch eine solche folgen würde. Auf die Frage, warum man dann noch gemeinsam Kaffee trinken würde, hieß es: „Die Ärzteschaft müsse sich noch beraten!“

 

WTF???
Was gibt es da „zu beraten“??? Wie laut und verzweifelt muss ein Hilferuf in einer medizinischen Einrichtung denn noch sein?

Fatale Folgen eines Hilfeschreis

Dies war der letzte Kaffee, zu dem  sie/er erschien. An jenem Freitag geschah erwartungsgemäß nichts mehr und auch am Wochenende gab es keinerlei Hinweise darauf, dass dieser Hilfeschrei ernst genommen würde. Im Gegenteil. Die Woche begann für die/den Patient*in mit einem Abschlussgespräch, in dem zudem eröffnet wurde, dass sie/er „gesund“, also arbeitsfähig entlassen würde.

Ein letztes Mal wurde via WhatsApp Kontakt zu den engsten Mitpatient*innen aufgenommen…

Im Laufe des Vormittags erschien ein Rettungswagen. Der Buschfunk funktionierte: „Ein*e Patient*in hat sich mit dem persönlichen Medikamentenvorrat versucht,  das Leben zu nehmen. Eine Reanimation war erforderlich und wurde erfolgreich durchgeführt. „

Während die eine professionelle Hälfte mutmaßlich „nichts von alledem“ mitbekommen haben möchte, umklammerte  die andere Hälfte konsequent und feste den Strohhalm des Datenschutzes.

Auch in diesem Fall lautete die Diagnose F33.1. Das charmante Lächeln und das offene freundliche Wesen führte dazu, dass die Krise nicht ernstgenommen wurde, der Hilferuf bei Ärzt*innen und Psycholog*innen ungehört blieb und schießlich und endlich falsche Schlüsse beinahe zum Tode führten.

Leider kein Einzelfall

In Deutschland nehmen sich jährlich ca. 10.000 Menschen das Leben. Die Stiftung Deutsche Depression sagt dazu:

Depressionen sind die Hauptursache von Suiziden. … Die Mehrheit der Menschen, die durch Suizid versterben, haben an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten (90 %), am häufigsten an einer Depression (> 50 %).

Trotz all dieser erschreckenden Berichte und Zahlen lächeln viele depressive Menschen weiter. Vielleicht nicht unbedingt, weil sie wollen, sondern vielleicht, weil sie nicht anders können. Auch hat ein Lächeln nichts mit Unehrlichkeit oder Aufrichtigkeit zu tun. Um so wichtiger ist Aufklärung. Depressionen müssen endgültig aus der TabuZone heraus. Besonders aber müssen endlich Depressionen interdisziplinär untersucht, diagnostiziert und therapiert werden. Es müssen dringend bundesweit mehr Angebote für Patient*innen mit Depressionen und Angehörige entstehen.

Das Lächeln ist nicht selten der Panzer unserer Seele; der Schutzwall für euch, die mit Menschen wie mir umgehen „müssen“; unsere Maske, unsere Fassade …

4 Antworten auf „Smiling Depression“

  1. Hallo Ryck

    Erst mal schön, von Dir zu lesen 🙂

    F33.1 das war / ist auch meine Hausnummer – die mich nun schon seit 17 Jahren begleitet. Meisst still im Hintergrund und ohne gross fühlbar zu sein, manchmal aber sich in Erinnerung bringend ohne die Dramatik zu haben, die in früheren Zeiten mal von ihr ausging….
    Und doch weiss ich immer, auch das ist ein Teil von mir, der genauso zu mir gehört wie meine Nase oder meine Ohren.

    Gelernt habe ich während meiner Therapie und im im Lauf der Zeit , damit zu leben, die Signale ernst zu nehmen, die F33.1 gelegentlich sendet – meisst, wenns gerade mal wieder „genug“ ist – und darauf zu reagieren, indem ich selbst für Auszeiten und Dinge sorge, die mir gut tun. Was bisher (nun schon fast 10 Jahre) gut funktioniert und mich vor weiteren lebensgefährlichen Situationen bewahrt hat.
    Dazu gehörte auch, dass meine Umwelt – auch mein Arbeitgeber – grob darüber informiert war (in dem Fall hab ich allerdinngs lieber das Wort Burn-Out benutzt) und ich so auch offen damit umgehen konnte, wenn es mal ein nicht so guter Tag war.

    Deshalb finde ich auch gut, dass Du auch die Offenheit suchst und über dieses Thema schreibst – weit offener, als ich das je getan habe.
    Dafür meinen Respekt, denn das ist ein wirklich grosser Schritt – der sicher nicht einfach war.

    1. Guten Abend Herr Momo,
      schön, dich hier zu lesen und vielen Dank, dass du deine Erfahrungen mit mir hier teilst.
      Es ist ein schmaler Grat, die öffentliche Bühne zu betreten und offen mit der Krankheit umzugehen. Wobei ich gleich, nachdem die Hausnummer, wie du es nennst, feststand, dass es für mich nur den Weg des offenen Umgangs damit gibt. Das Stigma Depression in allen ihren Facetten und Grautönen muss endlich aufgebrochen werden. Wenn ich alleine überlege, wieviele Menschen in meinem dichtesten Umfeld sich mir gegenüber geoutet haben, seit sie wissen, dass ich mit der Depression lebe. Wie es in einem anderen Beitrag schon angeklungen ist, ein Promi alleine kann diese Krankheit nicht aus der dunkelen und abstrakten TabuZone holen. Ich bin überzeugt, dass es dazu Menschen braucht wie dich und mich, die Nachbarin, den Partner oder den Kollegen.
      Ich hatte mit meinem Arbeitgeber erschreckender Weise leider nicht das Glück auf Verständnis und Unterstützung zu stoßen. Das wird in den nächsten Artikeln sicher Thema werden, denn auch das ist natürlich in meine Entscheidung, offen mit dem Thema und damit meiner Krankheit umzugehen, eingeflossen.
      Die große Masse werde ich sicher mit dem Blog nicht erreichen. Doch wenn sich ab und zu ein Mensch auf den Ryckweg verirrt und sich auf einen kurzen Spaziergang einlässt, wenn hin und wieder jemand vorbeischaut und im Ryckblick auf diesen Besuch etwas mitnehmen kann, dann freue ich mich – so, wie ich mich eben gerade freuen kann 😉
      Hab mit der besten Gattin der Welt noch ein schönes Wochenende und einen friedlichen 4. Advent.

      1. Was meinen Arbeitgeber anging, so hatte ich sicher das Glück, dass der schlimmste Teil meiner Depression da schon überstanden war, als ich den Job bekam – und ich auf der anderen Seite bei meinen Chefs auf sehr offene Menschen getroffen bin, die darin kein Hindernis sahen, einen Versuch mit mir zu wagen – sondern im Gegenteil sogar davon ausgingen, dass ich deswegen möglicherweise eine Bereicherung fürs Team sein würde….

        Vermutlich – ich weiss es nicht – hätte das anders ausgesehen, wenn mich F33.1 erst erwischt hätte , während ich da schon gearbeitet habe, aber auch dann hätte ich zumindest „die zweite Chance“ bekommen.

        Das Glück hattes Du wohl leider nicht, was ich sehr schade finde.

        Grüsse auch an Deinen Herzensmenschen – auch Euch einen wunderbaren 4. Advent

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