Da geht es mir, wie wohl einer großen Anzahl Menschen mit der Diagnose Depression. Irgendwann ist Ende Gelände, Aus die Maus, ich kann nicht mehr und ich mag nicht mehr. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe sagt dazu:
Suizidgedanken und –impulse (Suizid = lat. Selbsttötung) sind ein sehr häufiges Symptom bei Depression. Sie machen Depression oft zu einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Menschen mit Depression erleben nicht nur großes Leid, sondern haben auch durch die Erkrankung jegliche Hoffnung verloren. Sie glauben nicht daran, dass ihnen geholfen werden kann und sich ihr Zustand je wieder bessert. Um diesem als unerträglich empfundenen Zustand zu entkommen, kann der Wunsch entstehen, nicht mehr Leben zu wollen. Wer selbst an Suizid denkt oder gefährdete Menschen kennt, sollte umgehend ärztliche Hilfe suchen.
Pro Jahr nehmen sich in Deutschland knappt 10.000 Menschen erfolgreich das Leben. Das sind dreimal mehr, als z.B. durch Verkehrsunfälle ihr Leben lassen. „Suizidalität“ weiterlesen
Das vierte Jahr der psychologischen Betreuung begann für mich mit einem weiteren Psychologinnenwechsel, sowie einer Erweiterung der Therapie mit einer Gruppentherapie im Rahmen der PSYRENA, eines Nachsorgeprogramms der Reha. Auch diese Gruppe wird von einer Psychologin geleitet.
Für mich bedeutet das, dass ich mich gerade auf Psychologin 6 und 7 einstelle, Vertrauen aufbaue, mein Innerstes nach Außen kehre. Das ist zunächst einmal sehr anstrengend und verwirrend.
Psychisches Durcheinander
Bei allem Durcheinander, psychischem Chaos und all den Verwirrungen, kann ich allerdings von „Glück“ reden. Denn es passt. Menschlich lag und liege ich mit allen Therapeutinnen auf einer Wellenlänge und auch wenn in meiner Seele und in meinem Kopf hin und wieder der Punk abgeht, ich fühle mich mit der sechsten und siebten Umstellung auf andere Gesprächsführungen, vielleicht andere Schwerpunkte, andere Therapieansätze gut aufgehoben. In den vier Jahren hatte ich nur letztes Jahr einmal „Pech“ und zwar während meines Aufenthalts in der Tagesklinik. Mit meiner dortigen Bezugspsychologin stimmte es zwar menschlich, allerdings hatten die sieben recht kurzen (zwischen 10 und 20 Minuten) Einzelsitzungen nur sehr wenig, wenn überhaupt therapeutischen, psychologischen Charakter. Aufgefangen wurde ich durch die Urlaubsvertretung, die mir in drei Sitzungen (teils bis zu zwei Stunden) mehr half und mit auf den Weg gab, als besagte Bezugspsychologin.
Zu Beginn meiner psychologischen
Einzeltherapie war eine Hausaufgabe meiner Verhaltenstherapeutin, eine
Lebenslinie aus belastenden Lebensereignissen“ zu erstellen. Diese Lebenslinie
soll am Ende in Form einer Welle, die Auslöser meiner Depression ersichtlich
machen. Wie so häufig lächelte ich meine Überforderung weg.
So schwer kann das ja nicht sein. Und so viel
wird es auch nicht, beschränkt sich meine Sicht auf die Auslöser meiner Depression
auf die Verluste und die chronischen Belastungen und sozialen Konflikte der
letzten vier Jahre. Zum einen verkneife ich es mir seit Jahren tunlichst Trauer
zuzulassen. Zum anderen weiß ich um mein recht weit gefächertes Spektrum, Gefühle
zu erleben, alles was ich tue mit Herz und viel Leidenschaft anzugehen, darüber
meine Grenzen zu überschreiten, zu ignorieren. Zu guter letzt bin ich nicht mehr
wirklich in der Lage, meine Bedürfnisse zu formulieren, mich für sie
einzusetzen und sie, bzw. mich mit dem Blick auf meine Bedürfnisse, durchzusetzen.
So weit so gut, also Arschbacken zusammenkneifen und …
Mit weißem Blatt Papier und Bleistift, sitze ich
am Fenster und versuche zu hören, was sich abspielt in mir. Nach gefühlten
Stunden vor einer Skala von 1965 bis 2019 auf der X-Achse und einer
Bewertungsskala von 0-10 auf der Y-Achse werde ich erfasst von einer gigantischen
Welle, hineingezogen in eine unfassbare Strömung aus „belastenden Ereignissen“
nicht etwa der vergangenen vier Jahre, sondern meiner gelebten 5 Jahrzehnte.
Zunächst ergibt sich eine zackige Linie mit
meinen Empfindungen zu den Zeiträumen der Erlebnisse. Später füge ich eine
weitere Linie hinzu. Ich versuche mir ehrlich vor Augen zu führen, welche „Wertigkeit“
und welche Auswirkungen diese Ereignisse noch heute in meinem Leben und auf
mein Handeln haben. Je tiefer ich in mich hinein höre, je mehr Inhalte ich den
Lebenslinien beifüge, desto weiter zieht sich die gigantische Welle zurück. Wie
durch Priele in einem Watt, läuft das Wasser zuryck. Überraschung, Erstaunen,
Entsetzen, Trauer, Angst, Wut und Fassungslosigkeit gleichen jenem Schlick, der
es Wattwanderern oftmals unmöglich macht, sicheren Fußes und genießend, voller
Freude und Begeisterung, die sie umgebende Natur liebevoll und wertschätzend
wahrzunehmen.
Meine letzten Emotionen laufen auf Grund und in der Seele machen sich eine weite Ebbe und schwerer Nebel breit. Mein großer Wunsch wieder zu meinem alten Ich zuryckzukehren, vernebelt in der Frage, wer ich denn wirklich war und wer ich ehrlich bin?
Der Begriff „Lächelnde Depression“(Smiling Depression) hat mich in den letzten Tagen massiv beschäftigt. Schon lange bevor ich mir mutmaßlich frühzeitig professionelle Hilfe suchte bemerkte ich, dass ich mich in die Riege der Weltmeister*innen unter den Maskenträger*innen und Fassadenaufrechterhalter*innen einreihen konnte.
Dabei ist mir und vielen, vielen anderen Betroffenen auf keinen Fall zum Lachen zumute. Das Leben wird bestimmt von chronischer Hoffnungslosigkeit, Traurigkeit oder Trauer, massiven Ängsten und Suizidgedanken und -überlegungen. Ich selbst erweckte und erwecke nachwievor reflexartig bis gerne den Eindruck, als gäbe es kaum Gründe, traurig oder gar verzweifelt zu sein. Im Prinzip konnte passieren was wollte, ich habe aus Sicht meiner Umwelt „funktioniert“.
Eigentlich…
… hatte ich (bis zu dem Augenblick, in dem ich mich entschied mir, außerhalb meines eigentlich auch im psychosozialen Bereich arbeitenden Arbeitgebers, professionelle Hilfe zu suchen und anzunehmen) einen tollen, mich sehr ausfüllenden Job, eine kleine aber feine Wohnung, den HerzMenschen schlechthin als Lebenspartner an meiner Seite und ein zwar noch pubertierendes aber fabelhaftes KInd. Ich bin sehr gut sozialisiert, habe wenige sehr gute Freunde, Freunde und viele, viele tolle liebenswerte Menschen in meinem Umfeld. In meinem Portemonnaie , bis zu meinem Rauswurf, der Cent mehr, als ich zum Leben brauche. Mein Leben dort, wo Hunderttausende jährlich Urlaub machen. Ich lächele, wenn du mir begegnest, mich begrüßt oder das Gespräch mit mir suchst. Meine Fähigkeit zur Empathie und mein fröhliches offenes Wesen zeichnen mich bei vielen Menschen aus. Kurz um, ich setze mir, sobald ich meine kleine sichere Höhle verlassen muss, für die Außenwelt eine Maske auf und führte lange Zeit ein scheinbar normales, glückliches und aktives Leben. Beneidenswert, perfekt nahezu.
Smiling Depression – Lächelnde Depression
Definition & Fragen
In der Literatur zur „Lächelnden Depression“ findet sich, dass die „Smiling Depression“ ein Bestandteil der klassischen schweren Depression ist, was in mir eine Menge Fragen aufwirft.
Menschen, die an einer solchen klassischen schweren Depression leiden, hegen demnach selbstmörderische Gedanken, sind aber in der Regel kaum in der Lage auf diese Gedanken und Gefühle zu reagieren. „Smiling Depression“-Betroffene verwenden ihre letzten Energien darauf, ihre Selbstmordabsichten nicht nur zu planen, sondern auch durchzusetzen. Somit kann eine „Lächelnde Depression“ gefährlicher sein als eine klassische Form der schweren Depression.
Quelle: The Secret Pain of „Smiling Depression“, ein Interview mit der Psychologin Rita Labeaune
Ich persönlich finde es fatal, dass diese Fassade den Schwerstdepressiven zugeschrieben wird, gerade weil sich viele Psycholog*innen und Psychiater*innen schwer mit den Grenzen der einzelnen Stadien tun. Auch findet meist kein interdisziplinärer Austausch statt, so dass vielleicht die Psycholog*in sieht, was Psychiater*innen entgeht und Hausärzt*innen schon mal gar nicht mitbekommen und erfahren.
Mir wurde eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode (F33.1) diagnostiziert. Also alles schick?
Hmmm… wie erklären sich demnach die vielen Fragen aus der Außenwelt und selbst dem engsten Umfeld, wie zum Beispiel:
„Quatsch, du veralberst mich doch?“
„Wieso hast du Depressionen? Wir sind doch alle für dich da!“
„Du hast immer ein offenes Ohr, eine Umarmung und ein Lächeln für mich/uns, so ein großes Herz und hilfst, wo du kannst. Und du willst depressiv sein?“
„Stell dich nicht so an. Du hast doch alles, was du brauchst. Nimm dir ein paar Tage frei und dann wird das schon wieder, oder?
„Echt? Du siehst gar nicht depressiv aus?!“
…
Alles ein riesiges großes Mistverständnis? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Oder sitzt die Maske so perfekt, steht die Fassade so uneinstürzbar?