und Erklärungsnöten
Wie kann ich? Wie soll ich? Wie sag ich? Gemeinhin gelte ich als kreativer Mensch mit der Fähigkeit sich in Wort und Bild auszudrücken. Ich könne mich ausdrücken, wie Dali malte, war eines der schönsten Komplimente, das ich je erhielt. Meine Bilder, fotografiert oder gemalt bringen Freude und zaubern Lächeln in Gesichter. So weit die Theorie.
Während das mit den Bildern noch ganz gut funktioniert, hat sich meine Sprache auf ein Minimum reduziert, wenn es darum geht zu beschreiben, wie es mir geht, was mit mir los ist. Dieser Kopffick lässt sich nich in Worte fassen.
Es liegt in der Natur der mich umgebenden Menschen, Anteil zu nehmen. Neben ganz viel Neugierde, sind es natürlich die Menschen aus meinem engsten Umfeld, die wirklich interessiert sind daran, wie es mir geht, die ihre Hilfe anbieten, zuhören möchten, ja vielleicht sogar ähnliche Erfahrungen machten, an denen sie mich teilhaben lassen möchten. Indes schnürt sich in mir alles zusammen. Totale Verspannung und Anspannung, bis nicht nur die Muskeln, sondern alles dicht macht.
Frau Depression zeigt sich gestärkt durch meine Störungen und Nöte. Je mehr Kopffick, desto weniger Worte und Erklärungen, desto mehr Ryckzug. Wie soll ich anderen Menschen begreiflich machen, was ich selbst nicht verstehe? Immer dann, wenn ich glaube, jetzt habe ich einen Ansatzpunkt, zieht sich der Knebel aus Stacheldraht einmal weiter zu.

Nach vielen Monaten der Therapie, 10 Wochen Tagesklinik und 6 Wochen Reha weiß ich sehr wohl, dass ich immer noch und nach solchen Fragen einmal mehr mittendrin bin im Teufelskreis. Wie einfach fiel es mir noch einst auf die Frage „Wie geht es dir?“ Mit einem kurzen bündigen „Gut!“ zu antworten, völlig egal, ob dem ehrlich so war, oder ich einfach kein großes Ding aus dem machen wollte, was mich beschäftigte. „Gut!“ passte immer und als Meister*in der Schauspielerei, brachte ich es mit der nötigen Überzeugung über die Lippen, so dass keine Fragen offen blieben. Gespräche nahmen ihren Lauf. Ich behielt meinen Seelenmüll für mich und wendete mich mit viel Empathie und Zuneigung den Sorgen meiner Mitmenschen zu.

Auf die „Gut!„-Phase folgte ein „Danke, ich lebe!“ oder „Danke, ich atme!“ Gerade letzteres sorgte häufig für Erheiterung, meist aber zu Irritation, der dann versucht wurde auf den Grund zu gehen und die man einfach so stehen ließ. Ein heiteres Lachen verhinderte jedoch meist ein weiteres Nachfragen, ein genaues Erforschen meines Befindens. Und ich? Ich wendete mich mit viel Empathie und Zuneigung den Sorgen meiner Mitmenschen zu.
Heute suche ich nach jenem Punkt, an dem ich mich weigerte zu leben, zu atmen. Während ich bis dahin immer noch den Kontakt zu mir nahe stehenden Menschen zuließ und selbst suchte, muss es für den totalen Ryckzug einen Auslöser gegeben haben. Mein Kopffick spuckt immer wieder eine Unterhaltung mit einem dieser Nahestehenden aus. Dieser Mensch echauffierte sich entsetzt darüber, dass ich unter Depressionen leiden sollte. Dafür gäbe es doch nun in der Tat keinen Grund, im Gegenteil. Meine wundervolle Beziehung, das tolle mich wertschätzende soziale Umfeld, meine (damals noch vorhandene) Arbeit und ich sei „gesund“. Und wenn ich mal ein Problem hätte, könnte ich ja immer kommen.
Nein, natürlich kann und muss man nicht alles erklären können und bis ins Kleinste ergründen. So auch meine Psychologinnen, die stets darauf bedacht sind, meine Gier nach Reflektion und „Verstehen-Wollen“ in gesunde Bahnen zu lenken. ABER, ich bin nun wieder soweit, dass ich den Kontakt zu besonderen Menschen, mit sehr nahe stehenden Menschen, zu meinen Lieblingsmenschen zulasse und suche. Ich genieße die Gespräche, den Austausch und ja, ich kann es, ich kann mich diesen Menschen gegenüber öffnen. Gerade deshalb suche ich nach diesem Punkt, an dem ich mich weigerte zu leben, zu atmen. Ich möchte gewappnet sein und nicht mehr zuRyckfallen in Wortfindungsstörungen und Erklärungsnöte.
Genau dieser Punkt ist es, den zu finden mir nie wirklich gelungen ist.
Denn immer kam ich bei dieser Suche auch auf die Frage:
„Was war vorher?“ und daraus folgend: „Wo hätte ich gegensteuern können?“
Wobei ich meine Gefühlslage und die Gesamtsituation vor Erreichen dieses einen Punktes, vor dem Nicht-mehr-Leben-wollen sehr gut beschreiben kann und sie ähnlich war dem Kreisdiagramm oben in Deinem Beitrag.
Deshalb habe ich mich irgendwann entschlossen, die Suche nachdem letzten Auslöser suizidaler Gedanken aufzugeben und diese als Teil meiner Lebenserfahrung zu verbuchen, als Teil von mir, den ich ungerne nochmal erleben möchte.
Damit stellte sich die Frage, was ich selbst tun kann, damit ich nicht nochmal an diesen Punkt komme. Auch darauf hatte ich lange keine Antwort und hätte sie wohl auch alleine nicht gefunden.
Hilfreich war dafür meine letzte Reha vor fast zehn Jahren, wo sich mit Blick auf ein ähnliches Diagramm plötzlich die Antwort fand:
Für Wohlbefinden sorgen!
Anfangs mit kleinen Dingen wie bestimmter Musik, später, als es mir deutlich besser ging, auch mit strukturierten Tagesabläufen durch meinen Job – und (ganz wichtig!) in der Erkenntnis, mich verlassen zu können auf die Frau an meiner Seite, die wirklich alles mit mir zusammen trägt….
Daraus habe ich dann für mich eine Strategie entwickeln können, die ich heute noch nutze, wenn mal wieder die Novembergedanken in den Vordergrund rücken (wollen).
Musik ist nach wie vor ein wichtiger Teil davon, weil mit bestimmten Melodien sehr positive Gefühle verknüpft sind, die ich wie auf Knopfdruck abrufen kann – und die reichen, die Gedankenkreisel für den Moment zu unterbrechen, bevor ich noch weiter abdrifte – was meist auch reicht, wieder einen klaren Kopf in Bezug auf andere Dinge zu bekommen und den Weg aus der negativen Grundstimmung zu finden.
Und dazu natürlich : Reden, reden, reden ( oder schreiben, wenn das leichter geht)
Guten Abend Herr Momo,
vielen Dank für den ausführlichen und Mut machenden Kommentar. An ähnlichen Strategien bastele ich. Die erste große Hilfe war das Steine bemalen und verstecken. Zwei, drei oder mehr Stunden am Tag abtauchen ins Steinreich und den Kopffick damit abstellen. Die Tagesklinik war gut, was die Struktur betraf. Von der Reha habe ich auch manches mitgenommen, obwohl auch ich mittlerweile der Überzeugung bin, dass die Klinik selbst für Depressive eher suboptimal war/ist. Okay, ich habe zu atmen gelernt 😉 Man glaubt ja gar nicht, wie falsch man atmen kann und wie schwierig es ist, richtig atmen zu lernen.
Mein Glauben hilft mir.
Ab Januar gehen dann Einzel- und Gruppentherapie weiter, bzw. los und ich denke, mit meinen beiden HerzMenschen werde ich die restlichen Tage dieses unsäglichen Jahres herumbekommen. Derweil gefällt mir diese Blogidee richtig gut – Geschrieben gehen mir die Worte leichter über die Tasten, als gesprochen über die Lippen. Zum Sortieren ist das prima – und es erfüllt einen guten Zweck, weil ich das Thema Depression damit in eine kleine Öffentlichkeit rücken kann.
Deine Kommentare machen mir wirklich Mut. Vielen, vielen Dank für deine Offenheit.
Grüße an die beste Ehefrau der Welt und, falls man sich nicht mehr liest, ein gesegnetes und friedliches Weihnachtsfest.